Sozialer Wohnungsbau in Deutschland gerät in Notlage
Hanau, 31. Januar 2023 – Auch in diesem Jahr werden wieder weniger Wohnungen gebaut, als notwendig sind. Vor allem bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper. Die Immobilienbranche rechnet sogar mit einem anstehenden Jahrzehnt des Wohnungsmangels.
Eigentlich hatte sich die neue Ampel-Regierung ein hehres Ziel gesetzt: 400.000 neue Wohnungen sollten zukünftig jedes Jahr neu gebaut werden. Gleichzeitig sollte das Wohnen günstiger und klimafreundlicher werden. Doch je höher die Umweltauflagen und je niedriger die Mieten und Quadratmeterpreise, desto unrentabler gestaltet sich das Bauen für die Immobilienbranche. Bundesbauministerin Klara Geywitz steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe: günstigen Wohnraum schaffen und gleichzeitig die Immobilienbranche umweltfreundlicher gestalten. Dazu hat die Bundesministerin gemeinsam mit einem Bündnis aus Verbänden der Bau- und Immobilienindustrie, Vertretern der Bundesländer, aber auch mit Umwelt- und Mieterverbänden ein ambitioniertes Maßnahmenpapier erstellt: Insgesamt wurden 187 Maßnahmen gemeinsam erarbeitet, die das Bauen einfacher und günstiger machen sollen. Es soll mehr finanzielle Förderung durch den Bund, Bürokratieabbau und mehr Digitalisierung geben.
Doch der Krieg in der Ukraine hat die Energiekosten in die Höhe schießen lassen. Auch die Baustoffpreise haben sich seit dem Sommer 2022 drastisch verteuert und Lieferketten von Baumaterialien wurden unterbrochen. Egal ob für Stahl, Beton oder Dämmmaterialien: Die Preise am Bau sind in den vergangenen Monaten hochgeschnellt. Bauleistungen verteuerten sich laut jüngsten Zahlen von Mai letzten Jahres bis heute laut Statistischem Bundesamt um 17,6 Prozent, das war der höchste Anstieg seit mehr als 50 Jahren. So sind nach Schätzungen im Jahr 2022 nur noch etwa 280.000 Wohnungen entstanden und für dieses Jahr rechnen Experten mit nur noch 200.000 neuen Wohnungen. Doch der Bedarf liegt viel höher: laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung fehlen in den Großstädten bereits jetzt schon 1,9 Millionen günstige Wohnungen.
Steigende Kosten, höhere Anforderungen, tendenziell fallende Erlöse – für den Immobilienmarkt sind das wenig verlockende Aussichten. Entsprechend sinkt die Zahl der Baugenehmigungen seit Monaten, genauso wie die preisbereinigten Auftragseingänge in der Bauindustrie. Was dagegen immer weiter wächst, ist der sogenannte Bauüberhang, also die Zahl der Wohnhäuser, die zwar genehmigt, aber nicht gebaut sind. So sinkt vor allem die Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen immer weiter. Gerade 1,1 Millionen waren es zuletzt bundesweit – vor 20 Jahren lag der Bestand noch bei 2,6 Millionen Wohnungen.
Dass sich an dieser Situation etwas ändert, daran schwindet in der Immobilienbranche indes der Glaube. War die Begeisterung bei Immobilien- und Bauunternehmen anfangs noch groß, dass die Ampel-Koalition wieder ein eigenes Bauministerium schuf und das Thema damit politisch aufwertete, herrscht inzwischen Ernüchterung. Die Bundesregierung tue zu wenig, um ihr Wohnungsziel zu erreichen, sagte beispielsweises am Wochenende der Präsident des Großvermieter-Verbands GdW, Axel Gedaschko. „Die Wohnungsnot wird daher noch mindestens 10 Jahre lang dauern.“ Länder und Kommunen sollten deshalb alle bebaubaren Grundstücke zur Verfügung stellen, und der Bund müsse mit Zuschüssen und zinsgünstigen Darlehen den Bau von Sozialem Wohnungsbau unterstützen.
Auch wenn das Maßnahmenpaket der Wohnungsbauministerin in Punkten wie Digitalisierung, Förderung und modulares Bauen wichtige Impulse setzt, wird es aus Sicht von Projektentwickler Thomas Müller, Geschäftsführer der Terramag GmbH aus Hanau, der seit vielen Jahren im Rhein-Main-Gebiet in der Flächenentwicklung tätig ist, nicht ausreichen. „Wir vermissen Maßnahmen, die die Ausweisung von Wohnbauflächen auch im Bestand deutlich vereinfachen und neue Ansätze für eine strategische Bodenpolitik eröffnen.“ Die Instrumente der Bodenordnung im Baugesetzbuch sind seit Jahrzehnten weitestgehend unverändert und bedürfen aus Sicht des Entwicklungsexperten eine Anpassung auf heutige Herausforderungen. Hierbei geht es neben steuerlichen Aspekten insbesondere auch um die gerechte Verteilung der Bodenwertgewinne, um soziale und ökonomische Ziele der Baulandbereitstellung auch gegen den Widerstand betroffener Eigentümer leichter und zügiger durchsetzen zu können.
An einigen Faktoren könne man derzeit nicht viel ändern: hohe Darlehenszinsen, hohe Preise, fehlende Fachkräfte am Bau. Aber an drei Stellschrauben könne gedreht werden: Mit deutlich mehr Förderung würden wieder Anreize für Investoren entstehen, mit weniger Auflagen und schnelleren Genehmigungen könnte das Bauen einfacher, schneller und damit billiger werden – und mit einer zeitgemäßen Baulandstrategie ließe sich deutlich schneller mehr Bauland (re)aktivieren.